Fabelhaft und märchenhaft
Roland Schimmelpfennigs Stück „DerGoldeneDrache“
VON HANS-ULRICH FECHLER
Roland
Schimmelpfennig zählt zu den meistgespielten deutschen Dramatikern der
Gegenwart. Sein Stück „Der Goldene Drache“ wurde nun von der
Abschlussklasse der Theaterakademie Mannheim für ihre Prüfung ausgewählt
und hatte im Theater Felina-Areal Premiere.
Die sehenswerte Aufführung erzählt eine traurige Geschichte.
Schauplatz
ist der China-Schnellimbiss „Der Goldene Drache“, Personen der Handlung
sind dessen Beschäftigte und weitere Hausbewohner. Ein junger Chinese,
der in der Küche des Restaurants arbeitet, hat unerträgliche
Zahnschmerzen. Ohne Aufenthaltserlaubnis wagt er esnicht, einen Arzt
aufzusuchen. Schließlich brechenihm seine Kollegen denZahn mit einer
Rohrzange heraus. Der kleine Chinese verblutet. Er war auf der Suche
nach seiner Schwester, ohne sie je gefunden zu haben. Dabei war sie ganz
nah. Aber auch der Zuschauer erfährt erst nach und nach ihr Schicksal.
Zuerst nämlich wird eine alte Fabel erzählt.Während die fleißige Ameise
den ganzen Sommer über Vorräte in ihren Bau schafft, macht die Grille
Musik und fiedelt. Als der Winter kommt, hat die Grille Hunger, aber die
Ameise will ihr nur zu essen geben, wenn sie für sie arbeitet. So wird
die Ameise zum Zuhälter, und die Grille von vielen Ameisen heimgesucht.
Zu ihren Freiern gehören der alte Mann aus dem Haus des „Goldenen
Drachen“, der sich noch einmal jung fühlen möchte, und auch der Freund
seiner schwangeren Enkelin,der das Kind nicht will. Langsam erkennt der
Zuschauer in der Grille die kleine Schwester des kleinen Chinesen, in
der Ameise den Lebensmittelhändler im Haus des „GoldenenDrachen“.Und als
die Grille den dunklen Bau der Ameise verlassen will,fällt sie dem
Saufkumpan des Händlers in die Hände, der sie endgültig„kaputt“macht.So
märchenhaft diese Elemente des Stücks sind, so märchenhaft fällt die
Schlusserzählung aus. Die Kollegen im „Goldenen Drachen“ wickeln die
Leiche des Chinesen in einen Teppich und werfen sie in den Fluss. So
schwimmt sie bis nach China, und im Tod kehrt der Chinese zurück in die
Heimat. Seinen Zahn findet eine Stewardess in Nr. 6, Thaisuppe mit
Hühnerfleisch und Zitronengras, und wirft auch den Zahn in den Fluss.
Kritiker haben nach der Uraufführung viel Brecht und viel episches
Theater in Schimmelpfennigs Stück entdeckt. Die Liedzeile aus der
„Dreigroschenoper“ könnte über seinem Stück stehen: „Wir wären gut –
anstatt so roh,doch die Verhältnisse, sie sind nicht so.“ Und der
Brechtsche Verfremdungseffekt ist hier auf die Spitze getrieben: Frauen
spielen Männer,Männer spielenFrauen.Aber Regisseurin Anna-Lena Kühner,
bis vor zwei Jahren Regieassistentin am Nationaltheater,macht aus dem
traurigen Stück kein Betroffenheitstheater,sondern eine schnelle,
bisweilen auch besinnliche Aufführung mit Slapstickelementen. Alle acht
Absolventen der Theaterakademie bekommen Gelegenheit, in verschiedenen
Rollen ins Rampenlicht zu treten. Und wie die Fabel von der Ameise und
der Grille erzählt wird, das ist zauberhaft.
Quelle: Rheinpfalz
Foto: Wolfgang Detering
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