Freitag, 14. Oktober 2011

Schauspielschule begeistert in "Don't believe the Hype"

Schauspiel: Unter dem Motto "Don't believe the Hype" setzt Heidelbergs Intendant Holger Schultze auf die zweite Dramatikerchance
Auf dem richtigen Dampfer



Auf der Baustelle des Heidelberger Theaters ist was los: Schwadronierende Zuschauer mit Armbändchen unterschiedlicher Farbe bahnen sich ihren Weg von Zweitaufführung zu Zweitaufführung. Die Blauen müssen jetzt nach links, die Gelben werden auf den roten Teppich in Richtung Bergheim geschickt; genauer: einem inszenierten Einlass nach Berlins Kultdisco "Berghain" zu. Passiert man die grimmigen Türsteher, jauchzt vom Balkon eine Opernchorsängerin im besten Technosopran "Hyper, Hyper".

Auch am zweiten und dritten Tag des Heidelberger Eröffnungsmarathons besorgt Veit Güssow mit Studierenden der Mannheimer Theaterakademie den originellen Rahmenfahrplan für Intendant Holger Schultzes Hype gegen den Uraufführungshype. Und so ruht Autor Robert Woelfl als "Armer Poet 2011" und Tableau vivant in romantischer Spitzweg-Manier in finsteren Probebühnengängen. An einer Neckarschleuse dürfen hingegen Autoren im Stile einer Wetten-dass-Außenwette Gummitiere ins trübe Wasser werfen, in der Hoffnung, dass sie eine im Kran thronende Verlagsmitarbeiterin herausfischt...
"Erreger" und Desinfektion

Von Straßenbahnstewardessen frisch desinfiziert, geht es im Pfaffengrund einem gefährlichen Virus entgegen: Albert Ostermaiers "Trader" ist ein kaltblütiger Börsianer, dessen Gehirn nur aus Aktienkursen zu bestehen scheint. Dann stürmen drei Männer in Schutzanzügen sein Büro und transportieren ihn ab. "Erreger" heißt Ostermaiers Monolog, der beim Stückemarkt einst ausgezeichnet und später auch als Gastspiel in der Inszenierung von Lars-Ole Walburg mit Thomas Thieme in Heidelberg gezeigt wurde.

Lag Thieme festgeschnallt auf einem OP-Tisch, springt in der Inszenierung Andrea Thiesens nun ein quicklebendiger Jonas Gruber als "Trader in Quarantäne" durch einen zum Wartezimmer umfunktionierten Kantinenraum, immer noch sicher, Herr der Lage zu sein. Fasziniert lauschen wir den ideologischen Befindlichkeiten dieses Ekelpakets bis zu seinem finalen Sprung aus dem Fenster. Sein egomanischer Kapitalismus-Virus hat sich, Ostermaier wusste es früh, längst zur globalen Pandemie ausgeweitet.

Positive Aussichten lässt auch der "Schwarm" des von Autor Marius von Mayenburg nicht näher gefassten Personenkreises aus Eltern, Großeltern, Erziehungsberechtigten und besorgten Nachbarn nicht zu. Zehn ist die Kleine und Auslöser erwachsener Spekulationen. Da läuft was, man ist sich sicher. Ihre Puppe habe sie im Sandkasten begraben, einen härteren Ausdruck habe ihr Gesicht angenommen: Das Kind plant ein Attentat!
Eine Seefahrt, die ist lustig

Gründliche Leute aus der Vorstadt sind es in der leicht unbedarften Inszenierung Sahar Aminis, denen es vor dem eigenen Nachwuchs graust: ein stupendes Stück Spekulationsdramatik, dessen Inszenierung durch nerviges Stellwandgeschiebe weit hinter die Qualität der deutschsprachigen Erstaufführung Burkhard C. Kosminskis am Mannheimer Nationaltheater (2009) fällt.

Am dritten Tag geht's auf hohe See, na ja, immerhin auf den Neckardampfer "Europa", wo Gernot Grünewald Rebekka Kricheldorfs "Das Ding aus dem Meer" adäquat rasant in Szene setzt. Carlas Berufung zur Oberärztin soll mondän gefeiert werden, doch kaum sticht das Schiff in See, wird der "Sinnvoll-leben-Domina" (Nicole Averkamp) der feste Boden unter den Füßen entzogen.

Ihr Lebensabschnittsgefährte ist Chefredakteur einer Herrenzeitschrift also "Tittenmagazinvorsteher" (Stefan Reck) und bald darauf tot. Verantwortlich ist "das Ding aus dem Meer", jenes geheimnisvolle Tier in uns, das man besser nicht sichten sollte, wenn die Wogen hoch schlagen. Für dramaturgisches Gelingen ist Carlas beste Freundin Berenice (herrlich: Christina Rubruck) verantwortlich, deren Erzählton und Zynismus dem Drama gesellschaftssatirischen Biss geben.

Dass es auf Seereisen in unterschiedlichen Buchungsklassen, unterschiedlich viel zu beißen gibt, ist bekannt. Über stark divergierende Buchungsmotivationen allerdings informiert uns im Lokal "Horn of Africa" Philipp Löhles Kurzdrama "Wenn ihr kein Brot habt, dann esst halt Kuchen". In der schlichten wie gelungenen Inszenierung Kieran Joels überkreuzt Löhle handwerklich höchst geschickt im scheinbaren Dialog zweier Schiffbrüchiger die Reiseberichte eines Luxuskreuzfahrers und eines Somalia-Flüchtlings: bitterböse und schaurig schön.

Ralf-Carl Langhals
© Fotografie: Mario Heinemann Jaillet
Quelle:
Mannheimer Morgen
11. Oktober 2011

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